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Vom Kloster zum Shoppingcenter
- 13 Minuten Lesezeit
- Erlebnisse & Ausflugsziele
Sitzt man heute bei einem Kaffee im ehemaligen Hof der Leobener Dominikaner, wo vor langer Zeit Mönche gebetet und gearbeitet haben, staunt man: Man bestaunt alte Fresken, freigelegte gotische Fenster und spitze Torbögen, bewundert die Eleganz, mit der hier Altes mit Neuem verbunden ist. Man man kann kaum glauben, dass man gerade in einem Shoppingcenter sitzt. Und: Man hat nur eine vage Ahnung, wie viel Kraft Jean-Erich Treu in dieses Projekt stecken musste. Dabei wollte eben dieser Jean-Erich Treu eigentlich zur Ruhe kommen. Mit fast sechzig, meinte er, wäre es dafür Zeit. Immerhin hatte er in seinem Leben schon sehr viel gearbeitet: 1975 hatte er sich selbstständig gemacht, „mit einem Startkapital von 60.000 Schilling“, erzählt er, und über die Jahre eine Modekette mit insgesamt 27 Standorten aufgebaut.
Ruhe
„Die Idee war, ein Shoppingcenter zu kaufen und den Ruhestand zu genießen“, schmunzelt Treu. Das war 1999. Also schaute er sich nach Objekten um, die interessant wären. In Leoben stieß er schließlich auf ein Objekt, das zum Verkauf stand. Und lernte den damaligen Bürgermeister Matthias Konrad kennen. „Aber das Haus, das da frei war, war meiner Meinung nach nicht wirklich geeignet. So hat es zwischendurch so ausgesehen, als würden wir nicht ins Geschäft kommen.“ Doch Leoben ging Treu nicht aus dem Kopf. Und eines Nachts kam ihm die Idee: Wir binden das alte, leer stehende Kloster in unser Projekt mit ein! Man muss dazu wissen: Dieses Klostergebäude ist 800 Jahre alt. Und war damals dementsprechend in die Jahre gekommen – immerhin diente es in all der Zeit zuerst eben als Dominikanerkloster, dann als Schule, Pfarrhof, Getreide- und Salzmagazin, als Amtshaus, Gericht und Gefängnis. Als ältestes noch stehendes Gebäude der ganzen Stadt hat es also viel gesehen und mitgemacht. Mit einer Handskizze für dieses ungewöhnliche neue Shoppingcenter ging Treu zum Herrn Bürgermeister. „Matthias Konrad war sofort begeistert! Der ist ein echter Visionär!“ Konrad unterstützte Treu nach Kräften und dieser begann, den Plan in die Tat umzusetzen. Aber damit begann der Kraftakt: „Das Kloster und die Kirche wurden mit sogenannten Murnockerln (Steine aus dem Murfluß, Anm.) erbaut. Das Problem ist: Wird eines der Murnockerln locker und fällt aus der Mauer, bricht die ganze Mauer zusammen“, schmunzelt Treu. Unendlich viel Zeit musste Treu investieren und eine große Menge Geld. Die Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz war zwar vom beidseitigen Wunsch geprägt, am Ende ein Ergebnis zu haben, dass dem altehrwürdigen Gemäuer Genüge tut, die Auflagen aber klarerweise hoch.
Jean-Erich Treu
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"Mit 60 tun sich so was nur Narren an." "Die Menschen haben heute viel Angst vor Veränderung. Aber ich bin Optimist. Wir werden das gut machen."
Lebendigkeit
Es hat sich gelohnt: Heute hat man hier mitten in Leoben ein Einkaufszentrum, das sich zurecht einzigartig nennt. Und in dem es lebendig zugeht. Über 70 Shops findet man hier, von der internationalen Modemarke H&M über Kastner&Öhler, Müller, Mediamarkt bis hin zur kleinen, feinen Modeboutique in Familienbesitz, vom Burgerrestaurant bis zur duftenden Bäckerei. Also alles, was das Herz begehrt. Um all das so wahr werden zu lassen, musste Treu nicht nur die alten Gebäude revitalisieren, auch die Einfahrt in die Innenstadt wurde komplett umgekrempelt: Die Straße ist heute unter dem LCS versteckt. „Mit 60“, lacht Treu im Rückblick, „tun sich so was nur Narren an.“ Aber vielleicht genau weil es eine, „schwierige Geburt“ war, wie man auf gut steirisch sagt, nennt er das LCS heute „sein Kind“.
Mut zur Veränderung
Das Zupacken, das Unternehmer-Sein, wurde Treu quasi in die Wiege gelegt. Treus Vater war Selbstständiger, ein Autofreak, der seine eigene kleine Spedition gründete. Treu war immer bewusst, was es heißt, als Unternehmer erfolgreich sein zu wollen: „Urlaubspostkarten lesen, während man selbst daheim am Arbeiten ist“, umschreibt er treffend. Wie bei so vielen in seiner Generation war es letztlich der Vater, der Treu das Studieren verbot und dafür sorgte, dass er Verkäufer lernte. Treu selbst war kein Musterschüler, vieles, das ihn heute auszeichnet, hat er durchs Tun, durchs Leben gelernt. Auch wenn es in der Schule nicht läuft, meint er, könne immer noch alles aus einem werden. Treu erzählt von seiner Kindheit: „Wir haben’s lustig gehabt, haben nach dem Krieg in den Ruinen Räuber und Gendarm gespielt. Die Erwachsenen haben geschimpft, weil sie Angst hatten, dass uns dabei ein Ziegelstein auf den Kopf fällt.“ Verzicht war für ihn einfach die Norm. Heute könnte er schon längst sein Leben genießen, die Arbeit hinter sich lassen, aber man merkt: Dieser Mann hat einfach zu viel Power. So arbeitet er nach wie vor daran, das LCS stetig zu verbessern, in ein grünes Einkaufszentrum zu verwandeln, das wenig Energie braucht und diese selbst, etwa durch Photovoltaik, produziert. „Die Menschen haben heute viel Angst vor Veränderung. Aber ich bin Optimist. Wir werden das gut machen. Wenn wir zusammenhalten, wenn wir das Miteinander im Auge behalten, haben wir Erfolg.“ Und so meint er auch: „So wie die Gesellschaft erfolgreiche Unternehmen braucht, brauche ich als Unternehmer meine Mitarbeiter. Also muss ich darauf achten, dass es ihnen gut geht.“
In Treus Büroräumlichkeiten befinden sich zahlreiche hochwertige Gemälde und Zeichnungen. Wir fragen ihn, ob es seine Kunstsinnigkeit war, die ihn dazu motiviert hat, die alten Gemäuer im LCS bewahren und in neuem Glanz erstrahlen lassen zu wollen. Treu bejaht. Und meint, es wäre ihm auch wichtig gewesen, ein Einkaufszentrum in der Stadt zu machen und nicht auf der grünen Wiese. Ein einzigartiges, historisch wertvolles und zugleich hochmodernes Shoppingcenter, das die ganze Stadt belebt. Das ist es, was er wollte. Und heute ist er zurecht stolz darauf.