Johannes Silberschneider | © Erzberg Leoben | Manfred Wegscheider Johannes Silberschneider | © Erzberg Leoben | Manfred Wegscheider

"Hoamgehn"

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  • Kultur & Brauchtum
Für Johannes Silberschneider ist Sprache wie Wasser. Der in Mautern geborene Schauspieler arbeitet an allen wesentlichen Theatern und war in bisher über 100 Fernsehproduktionen und Kinofilmen zu sehen. Wir trafen uns mit ihm im Stadttheater Leoben.

Mittwoch, Nachmittag: Ich schicke Johannes Silberschneider eine EMail. Ob er Zeit hat für ein Interview? Meine Telefonnummer sei anbei, ich würde mich über einen Anruf von ihm freuen. Freitag, Vormittag: Mein Telefon läutet. „Hallo, Herr Wegscheider, Johannes Silberschneider hier.“ Er wäre gerade in der Gegend, wir könnten uns in den nächsten Tagen treffen. Montag? Ja, Montag ginge. Ort und Zeit machen wir uns noch aus. Ich rufe im Kulturamt Leoben an. Ob es so spontan möglich sei, dass Herr Silberschneider und ich ein Interview im Stadttheater machen könnten am Montag? Die freundliche Dame am Telefon erklärt, sie würde sich bemühen, rufe gleich zurück. Zehn Minuten später läutet mein Telefon: Kein Problem, es käme ein Mitarbeiter und würde uns aufsperren. Und tatsächlich: Montag Nachmittag ist ein Mitarbeiter vom Kulturamt da und Johannes Silberschneider und ich können im Stadttheater, dem ältesten noch bespielten Theater Österreichs, Fotos machen und unser Gespräch führen.

EXPLORE: Herr Silberschneider, welche Verbindungen haben Sie zum Leobener Stadttheater?
SILBERSCHNEIDER: Die Aufführungen hier waren immer was Nobles, Aufregendes. Aber meine erste Erinnerung daran ist: Als ich ins Gymnasium kam, lief das nicht gut. In Mathe war ich ganz schlecht. Und zu dieser Zeit war gegenüber vom Theater ein Uhrmacher, bei dem ich mit meiner Mutter war, weil ich ein neues Uhrband brauchte. Der fragte meine Mutter nach meinem schulischen Fortkommen, und als sie ihm sagte, was Sache war, meinte er: Bitte schicken’s ihn zu mir, der Bub hat geborene Uhrmacherhände. Daraus ist nichts geworden, weil ich im Gymnasium doch durchgehalten habe. Aber die Karriere ist nur eine Tür weitergegangen, vom Uhrmacher ins Theater. Aufgetreten bin ich hier aber erst vor zehn Jahren.

Sie sind ja erst sehr spät als Besucher ins Theater gegangen. Sie haben erzählt, sie waren schon aufgenommen im Schauspielseminar und haben erst danach begonnen, Theater zu besuchen.
Das stimmt. Alles, was ich kannte vom Theater, war das, was ich in der Schule gesehen hatte. Das war im Turnsaal in Eisenerz ein Stück der steirischen Gruppe „Kürbis“. Und im Gewerkschaftshaus haben wir von den Vereinigten Bühnen Graz „Nathan der Weise“ gesehen. Das erste Mal in einem richtigen Theater war ich, da war ich schon ein Jahr am Reinhardt-Seminar. Was mir hängen blieb, war, dass die Leute vor dem dritten Akt applaudierten, weil da auf der Bühne ein Baum stand, wo man dachte, die hätten einen echten Baum hingestellt. Und ich glaube, so was hat mich mehr beeindruckt als die schauspielerischen Leistungen. Das war mir immer zu künstlich. Ich habe mir immer gedacht: Das Künstliche stört mich irgendwie, und auch das Altbackene.


Mein Telefon läutet plötzlich während des Interviews. Mir ist das unangenehm. „Einfach abheben“, sagt Silberschneider freundlich, „mir ist das völlig wurscht.“ Außerdem meint er, sollten wir doch „du“ zueinander sagen, das wäre wesentlich angenehmer. So entspannt, wie er war, als wir unseren Termin ausmachten, so entspannt ist er auch jetzt. Ich hebe aber nicht ab, stattdessen beschäftigt mich die

Frage: Ist dir im Reinhardt-Seminar nie die Frage gestellt worden: Was ist dein Lieblingstheaterstück? Oder: Wann warst du denn das letzte Mal im Theater?
Nein, das ist witzigerweise nie gefragt worden. Erst im letzten Jahr hat uns unser Dramaturgieprofessor die Frage gestellt, was wir so gelesen haben. Und ich hatte, glaube ich, außer Karl May, Rosegger und so was, und als einzigen modernen Autor Jack Kerouac, eigentlich nix gelesen. Ich war nie ein Leser, ich habe immer nur Bilder geschaut. Nicht einmal bei Comics habe ich die Sprechblasen gelesen. Ich war total bildfixiert. Wobei: Sprachfixiert war ich. Mein quasi Entdecker und mein Berufer in den Beruf, ein Deutschund Geschichteprofessor in Eisenerz, der mich mangels Personal in seine Bühnenspieltruppe geholt hat, weil die ein personenintensives Stück spielten, „Das Haus in Montevideo“, wo ich nur eine ganz kleine Rolle spielte, sagte nach der Aufführung zu mir: „Du gehörst aufs Reinhardt-Seminar.“ Damals dachte ich, das wäre ein Priesterseminar. „Schauspielschule, du Trottel“, wies er mich zurecht. Na, jedenfalls: Es wurde nie gefragt, was wir im Theater gesehen hatten. Nur, was wir gelesen hatten. Und da gab ich nun dem Dramaturgieprofessor meine Antwort und der meinte: „Na, is eh wos.“ Witzigerweise, die Fächer wo es ums Bildnerische ging, die waren immer meins. Mein Gelesenes war das Bild. Ich habe Bilder gelesen und keine Literatur. Die Comics von Helmut Nickel, die habe ich geliebt! Der war ein Kenner der Materie, hatte Anthropologie studiert. Der beste Comiczeichner im deutschsprachigen Raum. Ein Genie! Seine Winnetou-Comics, sein Prinz Eisenherz, das war mein Gelesenes.

„Das Künstliche stört mich, und das Altbackene.“ „Ich war nie ein Leser. Bei Comics habe ich nicht einmal die Sprechblasen gelesen.“ -Johannes Silberschneider

Du hast gesagt, sprachfixiert bist du trotzdem …
Ja, weil der Professor für Bühnenspiel uns Schallplatten vorspielte. Oscar Werner, Helmut Qualtinger oder Gustav Gründgens. Und das hat mich fasziniert, obwohl ich nicht verstand, worum es da ging. Aber es war für mich wie Musik. Sprache ist Musik. Das ging parallel auch mit dem Johnny Silver. (Anm.: Mit der Bühnenfigur Johnny Silver machte Silberschneider Musik und nahm auch an Bandwettbewerben teil.) Theater geht immer zuerst über den Kopf und dann sickert es; aber Musik geht halt zuerst ins Herz. Das ist die Direktaufnahme. Mit 14 Monaten wäre ich fast gestorben an einer wissenschaftlichen Fehlmessung. Damals hat es geheißen, Spinat wäre so gesund. Aber da wurde sich halt um eine Dezimalstelle verrechnet. Wenn beim Spinat die Kühlkette nicht eingehalten wird, können sich Stoffe bilden, die hochgiftig sind für Kleinkinder. Drei Monate war ich dann im Spital in Leoben. Ich bilde mir immer ein, ich wollte damals sterben. Und als 17-Jähriger im Jahr 1958 inkarniert werden. Weil, da hat alles gepasst: Hitparade, der Kastner & Öhler-Katalog, die Filme haben gut gepasst (lacht). Ich dachte, ich komme als Rock’n’Roller auf die Welt. Jedenfalls: Als ich nach Eisenerz kam, gab es eine Zeitschrift, die hieß „Rock Dreams“. Ein Mitschüler im Gymnasium hatte die. Rock Dreams war eine Art Bildband. In zwölf Nummern wurde da die ganze Entwicklung der Rockgeschichte in Bildern dargestellt. Das hat mich fasziniert. Die Leute darin sahen aus wie Ikonen des Bösen. Und über diese Bilder habe ich mich in die Materie des Rock’n’Roll vertieft. Das war das Erste im Gymnasium, das mich interessiert hat. Und dann kam das Bühnenspiel. Von der Schule selber war ich ja in der Volksschule schon enttäuscht, dass da so wenig kommt, was mich interessiert. Die Nebengegenstände waren es, und die Sozialisierung, die mich die Schule haben überleben lassen. Und auch deswegen habe ich den Wunsch gehegt: Ich will nie erwachsen werden. Ich will nahtlos von der Adoleszenz in die Senilität übergehen. Dieses „Erwachsen sein“ ist der große Irrweg der Gesellschaft. Da geht’s um Sachen, die mich nie interessiert haben: Geld verdienen, Familie ernähren, Haus bauen, Kredite, Abhängigkeiten. Und ich hätt’s mir auch nicht zugetraut. 1977 hat der erste österreichische Ikea in Vösendorf aufgemacht. Da bin ich hin und habe mir mein erstes „Kinderzimmer“ gekauft. Das war kurz vor meiner Matura (schmunzelt). Und dieses Zimmer gibt’s noch immer. Mit allen Möbeln. Genau wie damals. Ich brauche solche Rückzugsgebiete, in denen sich nichts verändert. Es ändert sich ja im Außen so viel. Ich sehne mich nach einem Zustand der 60er-Jahre. Mit all den Kinos. Ich habe diese Kinos geliebt.


Was ist dein Lieblingsfilm?
Der dritte Mann. Erstens, weil er einen Österreichbezug hat. Zweitens, weil er in so vielen Disziplinen ein Nummer-Eins-Film ist. Zum Beispiel ist er einer der wenigen Filme, der im Soundtrack mit einem einzigen Instrument auskommt. Der Karas hat da wie bei einem Stummfilm drüber improvisiert. Der Kameramann ist einer meiner Lieblinge, der Robert Krasker. Der hat auch bei meinem zweiten Lieblingsfilm mitgearbeitet, „Brief Encounter“. Da kommt ein Bahnhof drinnen vor. Bahnhöfe waren für mich immer ein Weltbild. Da trifft sich die ganze Gesellschaft. Das erste Sujet, das jemals auf Film gedreht wurde, war Ankunft und Abfahrt eines Zuges. Und ich finde, in jedem guten Film kommt ein Zug vor. Im dritten Mann
kommt gleich am Anfang einer vor. Das ist das Urbild von künstlicher Bewegung und Kraft.


Was machst du, wenn du ein Drehbuch bekommst und es kommt kein Zug vor?
Dann muss ich mit dem Zug anreisen (lacht). Aber ernsthaft: Ich habe keinen Führerschein.

Du hast keinen Führerschein?
Nein. Das war für Eisenbahner verpönt. So bin ich aufgezogen worden. Wir hatten nie ein Auto in der Familie. Der Vater hat einen Puch-Roller gehabt, einen 125er. Vor zwei Jahren sollte ich für einen Film den Führerschein machen. Aber ich habe mir gedacht: Das tu ich nicht. Das kann ich nicht. So viel Mathematik: Anhängelast, Kupplung, Bremswege. Und wo ich mich total verweigert habe, war vor allem das Elektroauto. Da dachte ich: Den Schas lern ich sicher nicht. Weil an das glaub ich nicht. Es gibt alles: das Ein-Liter-Auto, den emissionsfreien Diesel. Aber Elektro ist für mich Märklin-Eisenbahn und Carrera-Rennbahnen. Da denk ich, das ist berechtigt. Und die alten Elektro-Loks.

Lustig. Ich habe auch keinen Führerschein. Dabei hab ich ihn mal machen wollen. Habe alle Theoriestunden gemacht. Dann ist mir bei der fünften Praxisstunde jemand von hinten ins Auto gekracht. Da dachte ich: Danke, das lass ich. Aber ich bin Grazer, Städter sozusagen. Du bist ja viel in Mautern, in Eisenerz. Wie organisierst du das, ohne Auto unterwegs zu sein?
Na ja, mit den Fahrplänen, die ich google. Dann fahr ich halt mit dem Bus herum. Oder per Autostopp. Man glaubt ja nicht, wie viele Leute stehen bleiben, wenn man stoppt. Erst letzten Donnerstag hab ich das wieder gemacht. Gleich das zweite Auto blieb stehen und der Fahrer nahm mich freundlich mit. Der Punkt ist: Wenn kein öffentliches Verkehrsmittel fährt, nehmen die Leute einen mit, die wissen ja, wie’s ist.

„Ich will nie erwachsen werden. Ich will nahtlos von der Adoleszenz in die Senilität übergehen.“ „Ich finde, in jedem guten Film kommt ein Zug vor.“ -Johannes Silberschneider

Mir ist aufgefallen: Die Leute hier sind extrem offen.
Ja, denk ich auch. Das Führsorgebedürfnis für den Nächsten ist hier hoch. Es wird viel kommuniziert. Witzigerweise geht es mir jedes Mal so, wenn ich hier ankomme, durch Vordernberg fahre, mit all den alten Gebäuden und teilweise Ruinen, dann denke ich: Diese Häuser sind wie weise alte Menschen. Die erzählen dir Geschichten. Und so sollten wir alle miteinander umgehen: Uns Geschichten erzählen. Und ja, es ist nicht alles nur einfach. Es gibt ja auch gravierende geschichtliche Lasten in der Gegend. Aber das sind Geschichten, denen man zuhören muss, um eine Gegend zu befreien. Doch reden wir lieber
über Schönes. Die Bilder von Matthäus Loder, dem Kammermaler von Erzherzog Johann zum Beispiel, der hier in der Region gemalt hat. Die eine wunderschöne Märchenidylle zeigen, die mich tief geprägt hat. Der Max Tendler, der hier in Leoben gelebt hat – ein großartiger Maler. Oder die Wissenschaftler wie der August Musger, der Entwickler der Zeitlupe. Eisenerz war halt einmal ein Kristallisationspunkt der europäischen Geistesgeschichte. Es waren ja alle da. Vom Paracelsus bis zum Agrippa. Ich habe mich immer gewundert, wie es möglich war, dass die Ökumene in Eisenerz offenbar immer funktioniert hat. Dass die Pfarrer totale Revoluzzer waren, dass die alle gut miteinander konnten. Inzwischen ist man draufgekommen, dass in Eisenerz die Verfolgung in der Reformation nie stattgefunden hat. Es war immer so, dass in Bergbaugebieten Protestanten waren, und in Eisenerz wurden die nicht vertrieben, sondern die haben mit den Katholiken gemeinsam die Oswaldikirche genutzt. Womöglich sogar mit weiblichen PastorInnen. Also historisch etwas völlig Neues. Eisenerz ist für mich immer Weltmodell gewesen. Ich glaube, ich bin einfach untrennbar mit dieser Gegend verbunden. Hier ist eine Kraftquelle.

"Vor zwei Jahren sollte ich für einen Film den Führerschein machen. Aber ich habe mir gedacht: Das tu ich nicht.“ -Johannes Silberschneider

Es ist ja auch so, dass schon das Nebental zur Eisenstraße, von Kapfenberg bis Mariazell, zwar das Erz von hier auch verarbeitet hat, aber trotzdem anders ist.
Ja, Eisenerz ist ein magischer Ort. In Eisenerz wurde das Erz abgebaut und in die Welt geschickt. Mein Vater hat in Kapfenberg gelernt, der war bei Böhler als Dreher. Der wollte nie einen anderen Beruf ergreifen als etwas, das mit Eisen zu tun hat. Und ich bin gerade unterwegs, weil wir einen Kalender, den dritten, über die Radwerke in Vordernberg herausbringen.

Du bist ja Botschafter der Region …
Findest du?

Zumindest ist das mein Eindruck. Und was mir erzählt wurde. Mich würde interessieren, was du einem Wiener oder einem Deutschen erzählst, warum er hierher kommen soll?
Weil das historisch und landschaftlich unglaublich reiche Gebiete sind. Gestern war ich am Polster und dachte: Bist du deppert. Da fährst du 15 Minuten beschaulich auf einem uralten Lift, kommst oben an, schaust dich um, und dann siehst du eine solche Kulisse. Ich bin kein Bergfex. Ich wollte mich nie an der Landschaft abarbeiten. Ich will mich umschauen. Mit der Landschaft kommunizieren. Es gibt ja auch Menschen, die von sich sagen, dass sie sogar mit Wasser kommunizieren können.

Wasser … seltsam, wie dieses Thema hier in der Region immer wieder auftaucht. Ich weiß nicht, ob du
Skijak kennst?

Nein! Was ist das?


Das ist eine Sportart, die nur hier in der Region betrieben wird. Ähnlich wie Jogging, aber eben auf Wasser. Nur als Beispiel. Oder: Am Freitag war ich am Grüblsee. Der ist ja auch einzigartig und bei Tauchern auf der ganzen Welt bekannt. Oder: Ein bekannter Künstler aus der Region macht immer wieder Aktionen auf dem Wasser, auch ein Projekt am Leopoldsteiner See hat er gemacht. Irgendwie haben fast alle, die hier sind oder hierherkommen, einen starken Bezug zu Wasser. So, und dann bereite
ich mich auf das Interview mit dir vor und finde tatsächlich das Zitat von dir: „Die Stimme des Menschen ist wie das Wasser.“ Dabei hatte ich, bevor ich dieses Zitat fand, für heute die Frage notiert: Was ist dein Bezug zu Wasser?

(Denkt lange nach.) Heute noch, immer wenn ich schwimmen gehe, ist das Erste, was ich tu, abzutauchen. Und da denke ich: Das ist das, was der Mensch an Fliegen zusammenbringen kann. Wir sind aus Wasser geboren. Wir bestehen aus Wasser. Und die Sprache ist eben auch wie Wasser. Unser österreichisch ist Musik. Wie Wasser. Unsere Sprachmelodie ist ja slawisch geprägt, nicht deutsch. Die Romane unserer Autoren sind Sprachpartituren. Ich glaube, das meinte ich, als ich sagte, die Sprache ist wie Wasser. Ich habe mich ganz lange gewehrt, hochdeutsch zu sprechen. Am Reinhardt-Seminar wollten sie mich immer dazu zwingen. Aber ich sagte, ich kann das nicht. Ich kann es als Rolle, wenn ich spielen muss. Da bemühe ich mich, das zu verstehen und nachzuspielen. Österreichische Schauspieler haben damals immer imitiert. Die Frauen haben wie Romy Schneider gesprochen und die Männer wie O. W. Fischer. Aber das ist ja auch kein Deutsch. Dabei klingt die österreichische Sprache so angenehm. Ich fand nicht einmal Goethe oder Schiller gut, die Balladen schon, aber den Rest nicht. Die Muttersprache ist das, woraus man besteht. Darauf kann man surfen. Als ich in Hamburg war, zum Peter Rosegger-Gedächtnisjahr, um dort Rosegger zu lesen, schaute ich mich vorher in Antiquariaten um und fand Rosegger in Mundart. Da wusste ich: Da kommt das alles her. Mein Lieblingswort im Dialekt: „Hoamgehn“. Aber das ist halt nicht sehr spektakulär.

"Eisenerz ist für mich immer Weltmodell gewesen. Ich glaube, ich bin einfach untrennbar mit dieser Gegend verbunden. Hier ist eine Kraftquelle.“ -Johannes Silberschneider

Silberschneider erzählt von wichtigen Einflüssen, von Herms Fritz, von Reinhard P. Gruber, von Mundart-Rock’n’Roll. Er meint, der Dialekt sei ein Enzym, dass dazu diene, Emotionen freizulegen. Die Mundart führt Silberschneider zurück zu seiner Liebe zur Region. Er erzählt von einem Onkel, der hier Arzt war, aber auch Essays und Romane geschrieben hat, und zitiert ihn mit den Worten: „Keiner liebt das Tal (Vordernberg, Anm.) so wie ich.“ Und meint:
Es gibt auch keine Region, die so reich ist an Sagen wie diese. Der Eisenerzer Sagenkreis umfasst über 50 Sagen, das gibt es nirgendwo sonst. Alle, die in Eisenerz waren, sind angezogen worden von den Mythen der Gegend. Nicht umsonst war das hier im Mittelalter Anziehungspunkt für Intellektuelle aus aller Welt.

Silberschneider zeigt mir auf seinem Handy Gemälde von Loder, wunderschöne, verblüffend moderne Bilder des großen Meisters. Darauf zu sehen sind der Erzberg, der Leopoldsteiner See, der Erzherzog Johann, der die Gegend so geprägt hat. Und Vordernberg: Das Gemälde, 150 Jahre alt, zeigt dieselben Gebäude, die heute noch in Vordernberg stehen. Nach über einer Stunde beenden wir das Gespräch. Gemeinsam verlassen wir das altehrwürdige Stadttheater und spazieren zum Hauptplatz. Silberschneider verabschiedet sich Richtung Bahnhof. Ich lerne: In jedem guten Interview kommt ein Zug vor.

"Gestern war ich am Polster und dachte: Bist du deppert. Da fährst du 15 Minuten beschaulich auf einem Lift, kommst oben an, schaust dich um, und dann siehst du eine solche Kulisse.“ -Johannes Silberschneider